Die Dritte im Bunde

Mariologie als Perspektive interkonfessioneller Theologie

Während im gegenwärtig großangelegten Diskurs um Interreligiosität bzw. – ‚dramatisch‘ formuliert – im Dialog der Religionen doch immer wieder die Frage auftaucht, ob wir nicht vielleicht gar alle an denselben Gott glauben, kann man wohl zugestehen, dass diese Frage in Hinblick auf die Ökumene zwischen römisch-katholischer und evangelisch-lutherischer Kirche relativ leicht zu beantworten ist. Ja, wir Christ*innen glauben an den dreifaltigen Gott, der, inkarniert in Jesus Christus, am Kreuz starb. Und auch das ansonsten gemeinsame Glaubensbekenntnis macht nur eine Unterscheidung bei der Übersetzung von ecclesia catholica. Aber bringt uns das wirklich weiter?

Man wird zugeben müssen, dass es ein sinnloses Unterfangen ist, in der Äquivalenz von Termen eine Art Gründungsgeste für eine substanzielle Einigkeit entdecken zu wollen. Viel eher ist es dahingegen der Fall, dass eine solche Einigkeit zweier unterschiedlicher Akteure durch den Ausschluss einer dritten Instanz zustande kommt. (Und zur Vorbeugung von Missverständnissen sei deutlich gesagt, dass mit diesem ausgeschlossenen Dritten keine andere Religion gemeint ist.)

Bleiben wir, um diesen Punkt zu verdeutlichen, noch einen Augenblick bei Gott. Auf dogmatischer Ebene zeigt sich die Einigkeit der Konfessionen darin, dass sie beide denselben Startpunkt haben, nämlich den monotheistischen Gott. Ferner sind sie sich darin einig, dass dieser Gott eine Art Machtmonopol besitzt (er ist zwar nicht absolut allmächtig, aber wenigstens übermächtig). Damit bleibt Gott in beiden dogmatischen Entwürfen auch gleichzeitig der Souverän der Gnade. Er allein stellt (auf die eine oder andere Art) den Achsenpunkt der gesamten Heilslehre dar. Dies kann allerdings nur unter Ausschließung eines Mittlers zwischen Gott und den Menschen begründet werden. Hier ein Beispiel:

Um den gnädigen Gott zu charakterisieren, greift Søren Kierkegaard in seinen Philosophischen Brocken auf eine Allegorie zurück. Demnach könnten wir uns Gott doch denken als einen verliebten König, der sich klein macht, um eine Frau aus dem Volke (sie steht für die einfachen Gläubigen) zu umwerben. Der gut lutherisch denkende Kierkegaard impliziert hier natürlich eine direkte Beziehung zwischen Gott und Mensch ohne Mittler. Gott bleibt auch bei ihm der „Lehrer“ und damit souverän.

Wir müssen aber Kierkegaards Allegorie konsequenter denken, als er selbst es tut. Indem Gott sich klein macht, wird er selbst ein einfacher Mann des Volkes. Kierkegaard vergisst es nämlich, seine Allegorie wieder an ihre Herkunft, die Inkarnation, zurückzubinden. Und siehe da, es gibt offenbar sehr wohl einen Mittler, genauer gesagt eine Mittlerin – nämlich die Frau aus dem Volk. Nur vermittels der Frau kann er ein Verhältnis zum Volk, den Menschen, herstellen. Somit kann auch nur durch die Frau die Gnade überhaupt wirksam werden. Jedem dürfte klar sein, dass hier von keiner anderen die Rede ist von Maria.

Maria verkörpert den ausgeschlossenen dritten Term, den Mittler, der verschwindet, wenn er seine Aufgabe erfüllt hat, den aber beide Konfessionen benötigen, um am souveränen Gott festzuhalten. Und dies macht sie zum Skandalon für die Dogmatik. Reduziert auf ein Vorbild von Reinheit und Frömmigkeit auf katholischer oder gleich gänzlich verdrängt auf evangelischer Seite, wurde die Frau dogmatisch eingehegt. Machen wir uns nichts vor: Nicht nur im Islam sieht man sich gezwungen, die Frau zu verschleiern, auch das abendländische Christentum betreibt die Verschleierung der Frau im großen Stil.

Was folglich die Mariologie angeht, wartet scheinbar noch einiges an Arbeit auf die Theologinnen und Theologen beider Konfessionen. Und ganz wie in einer Paartherapie wäre es vielleicht ratsam, wenn sich beide Seiten dem stellen, was sie gemeinsam verdrängen.

[Zuerst erschienen in Settimana 4, 1/2019.]