Feministische Außenpolitik und Geisteswissenschaft – Für ein neues Denken und Sprechen in der Krise

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine erweiterte Fassung eines Vortrags, den ich auf einem von Student*innen des Theologischen Studienhauses Kieler Kloster veranstalteten Debattierabend am 15. Juni 2022 hielt. Das hochaktuelle Thema des Abends lautete „Pazifismus vs. Abwehrbereitschaft – Herausforderungen im Europa des 21. Jahrhunderts“. Vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine und den damit verbundenen außen- wie innenpolitischen Herausforderungen, vor die sich die bundesdeutsche Zivilbevölkerung nicht weniger als ihre Regierung gestellt sehen, war es mir ein Anliegen, einen positiven Ansatz zur Bewältigung zu präsentieren. Aus diesem Grund erprobe ich hier in einem allerersten Versuch eine (politisch-)philosophische Reflexion des jungen, realpolitischen Konzepts einer Feministischen Außenpolitik.

Die Gegenüberstellung von Pazifismus und Abwehrbereitschaft macht es einem nicht leicht, sich zu positionieren. Aber in Krieg und Krise scheint kein Weg darum herumzuführen, eine Position zu beziehen – und selbst die Entscheidung, sich herauszuhalten, ist eben Ent-Scheidung, die (individuelle/private) Auflösung des Spannungsverhältnisses. Ich möchte im Folgenden eine Art Positionierung vornehmen und erklären, warum ich in diesem Zuge den Begriff der Abwehrbereitschaft als den ‚offeneren‘ und damit konstruktiveren von beiden favorisiere. Das Ganze soll in Form einer kleinen philosophischen Meditation über die beiden Begriffe erfolgen:

I.

Beginnen wir mit dem Pazifismus und stellen uns gleich die große Frage: Was meinen wir denn eigentlich mit dem Frieden, der diesem Konzept seinen Namen gibt? Natürlich gibt es viele Modelle des Friedens und des Pazifismus, die ich hier nicht alle auflisten kann, weshalb ich behelfsmäßig auf eine dreifache Unterscheidung zurückgreifen will, um auf ein Problem hinzuweisen, das der Begriff nach meinem Dafürhalten hat. So möchte ich unterscheiden zwischen (1) einem herrschaftlichen Frieden, (2) einem erkämpften Frieden und (3) einem Status-quo-Frieden.

(1) Der Begriff ‚herrschaftlicher Frieden‘ dürfte sich von selbst erklären, mit ihm ist ein Frieden gemeint, wie ihn etwa die Pax Romana darstellt: Eine elitäre Gruppe oder ein Volk von Machthabern bestimmen die Parameter der Freiheit für viele andere Gruppen und Störungen dieses von oben diktierten Friedens werden geahndet, i.d.R. durch Androhung oder Ausübung von (militärischer) Gewalt.

(2) Mit dem erkämpften Frieden wird es schon komplizierter. Einmal natürlich, weil die Begriffe Kampf und Frieden sich doch zu widersprechen scheinen. Dann aber auch, weil man jetzt doch sagen könnte, dass auch der herrschaftliche Frieden ein erkämpfter Frieden ist. Dasselbe gilt aber auch für eine diskriminierte und marginalisierte Bevölkerungsgruppe, die sich gegen systemische Unterdrückung auflehnt, um einen auch für sie akzeptablen Frieden herzustellen. Die Idee des Friedens musste sich in diesem Modell erst einmal die Hände schmutzig machen. Der Sinn dieses Vorhabens kristallisiert sich dann im dritten Modell:

(3) Der Frieden, den man herbeigeführt hat, den möchte man auch erhalten. Die Idee des Friedens haftet sich hier an den Status quo. Wobei wir unterscheiden müssen, dass der herrschaftliche Frieden sich dabei wohl eher auf einen Status-quo-ante eingeschossen hat, während die Widerständischen, die sich z.B. gegen diese Herrschaft des Status quo auflehnen, wohl mehr an einem ganz neuen Status, resp. Staat interessiert sind.

Das Problem ist nun aber, dass man dadurch die Idee des Friedens mit einer abstrakten Form desselben gleichsetzt, und zwar mit einer situativen, historisch-kontingenten und raum-zeitlich begrenzten Form eines Friedens. Dem zugrunde liegt ein zweiwertiges, binäres Weltbild, das einen dritten Wert ausschließt. Tertium non datur – entweder es ist Krieg oder Frieden, dazwischen gibt es nichts. Insofern verwandelt sich der Friedensbegriff hier entweder in einen absoluten Begriff für einen Status, der damit absolute Gültigkeit beansprucht, oder in einen Grenzbegriff, der einem jedes Mal wieder entgleitet (schnell entsteht eine neue marginalisierte Gruppe, deren Existenz die vermeinte Allgemeinheit des friedlichen Status konterkariert)[1] oder der sich gar nicht erst erreichen lässt (man denke z.B. an das abstrakte Bild des himmlischen Paradieses oder das des jesajanischen Tierfriedens, bei dem das Lamm zusammen mit dem Wolf grast)[2].

Der Punkt ist, dass der Friedensbegriff, will man ihn zum Handlungsprinzip machen, eigentlich positiv bestimmt sein müsste. Der Friedensbegriff des zweiwertigen Denkens bestimmt ihn jedoch nur via negativa. Und selbst der gängige Begriff eines „positiven Friedens“ meint lediglich, dass Frieden nicht nur die Abwesenheit von militärischer Gewalt bedeutet, sondern auch die Abwesenheit von struktureller und kultureller Gewalt.

Die tatsächliche Gestaltung des Friedens muss aber mit den realen Dimensionen politischer Macht kalkulieren und sie zuletzt auf eine ganz eigene, situative und kontextsensitive Art und Weise integrieren, so dass von einem positiven Pazifismus gesprochen werden kann, der sein Wesen nicht auf dem Weg der einfachen Negation, also aus der Ablehnung des Krieges und der Gewalt gewinnt.

Man könnte ja auch anders herum Fragen: Welche Art Frieden will man denn? Ich denke, die Revolutionen und emanzipatorischen Bewegungen der Vergangenheit und Gegenwart zeigen es deutlich: Man möchte einen Frieden, in dem man in Freiheit leben kann. Und spätestens seit Kant wissen wir, dass damit nicht irgendeine Freiheit, die etwa gar von oben diktiert wird, gemeint ist, sondern eine Freiheit, die in Autonomie, d.h. bewusster und positiver Selbstbestimmung besteht. Freiheit ist aber ein sinnvoller Begriff nur für handelnde Subjekte. Eine Welt, in der interagiert wird, die kennt aber auch Konflikte und Dissens. Doch gerade der Dissens wirkt als Katalysator freiheitlicher demokratischer Aushandlungsprozesse.[3]

II.

Insofern halte ich den Begriff der Abwehrbereitschaft, zumal er den Ismus vermeidet, gegenwärtig für den gangbareren, da er im Unterschied zum im begrifflichen Sinne zweiwertigen und passivischen Wesen des Pazifismus aktivisch und mehrwertig daherkommt. Denn man darf wohl Fragen: Muss Abwehrbereitschaft denn notwendigerweise und allein militärisch und kriegerisch gedeutet werden? Der jüngste Regierungsentscheid über ein einmaliges Sondervermögen von 100 Mrd. Euro, von dem nun feststeht, dass es zu 100% in die Ausrüstung der Bundeswehr fließen und zudem der zukünftigen Erreichung des NATO Zwei-Prozent-Ziels dienen soll, scheint hier eine deutliche Sprache zu sprechen. Auf den realen Krieg in der Ukraine und auf einen möglichen Angriff auf die Bundesrepublik reagiert man mit kriegsökonomischen Entscheidungen und auch eine entsprechende Kriegsrhetorik folgt auf dem Fuße.

Volker Pispers sagte einmal: „Die Bundeswehr ist dazu da, den Feind an der Grenze so lange aufzuhalten, bis das Militär kommt.“[4] Natürlich geht es hier auch um die vertragsrechtlichen Anschlusszwänge, die sich aus Deutschlands NATO-Mitgliedschaft ergeben, aber ich möchte den Blick im Folgenden auf den Sachverhalt der Sprache lenken. Pispers Scherz bringt nämlich eine eklatante Problematik der Begrifflichkeiten zum Ausdruck: Die Bundeswehr ist verfassungsrechtlich eine reine Verteidigungsarmee. Die Desublimierung[5] aber, die sich 2002 z.B. niederschlug in Peter Strucks Aussage, dass Deutschland am Hindukusch verteidigt würde,[6] wiederholt sich heute auf ganz eigene Art, wenn z.B. Christian Lindner davon spricht, dass Deutschland in wenigen Jahren „die schlagkräftigste Armee Europas“[7] haben wird oder wenn Olaf Scholz wiederholt versichert: „Wir tun nichts, das uns mehr schadet als Putin.“[8] Selbst wenn derlei Aussagen nicht offensiv gemeint sind, dann ändert das nichts an der Tatsache, dass die Worte etwas anderes ausdrücken, indem sie unkritisch die Sprache des Militärs und des Krieges kolportieren, worauf z.B. Hans Karl Peterlini, Friedensforscher an der Universität Klagenfurt, hinweist.[9] Ebenso, aber im Geiste der jungen Idee einer Feministischen Außenpolitik, die es übrigens auch in den Koalitionsvertrag unserer Regierung geschafft hat,[10] mahnen auch Kristina Lunz[11] vom Centre for Feminist Foreign Policy und  Heribert Prantl[12] von der Süddeutschen Zeitung.

Ich möchte diesen Impuls aufnehmen und im philosophischen Register verorten: Insofern bildet die feministische Außenpolitik ihrer Idee nach die Gräte im Hals der traditionellen, patriarchallogischen Anschlusszwänge, die sich in Sprache, institutionellen Strukturen und den aus ihnen abgeleiteten Konfliktbewältigungsstrategien niederschlagen.[13] Sie tut dies, indem sie den Fokus abzieht von der maskulinen Machtpolitik (die insbesondere von einem modernen Autokraten wie Putin zelebriert wird)[14], um im Gegenzug den Blick für marginalisierte Gruppen zu schärfen. Auf der Ebene der Sprache und somit auch auf der Ebene der Symbolisierung gesellschaftlicher Werte und Normen soll damit einer Normalisierung der Kriegsthematik entgegengewirkt werden, während man zugleich einen unbedingten positiven Ankerpunkt der eigenen Handlungsmaxime benennen kann, nämlich die konstruktive Verbesserung des sozialen und damit auch politischen Status derjenigen (Welt-)Bevölkerungsgruppen, die am Meisten unter dem Kriegszustand leiden.

Die Kriterien und Elemente des Projekts Feministische Außenpolitik lassen sich nun in der Rechtsphilosophie und der (politischen) Theologie wiederfinden: Einen präzisen rechtsphilosophischen Begriff für die genannten marginalisierten Gruppen bietet etwa der französische Philosoph Jacques Rancière, wenn er vom „Anteil der Anteillosen“ einer (Welt-)Bevölkerung spricht, die dadurch einem politischen „Unvernehmen“ ausgesetzt sind.[15] Rancières Ansatz bieten den Vorteil, das reale soziopolitische Problem strukturell zu begreifen und daher vom (wohlgemerkt hochproblematischen) Verdacht der ideologischen Agenda zu trennen, mit dem sich soziale Konzepte und Programme, die sich unter dem Begriff des Feminismus formieren, leider immer noch und in Zeiten des Internets sogar in verstärkter, weil organisierter Form[16] ausgesetzt sehen.

Rancière ist es auch, der das fundamentale Strukturelement der patriarchalen Logik strukturell reflektiert:[17] Der griechische Begriff der archḗ, der uns in der Monarchie wie auch im Patriarchat begegnet, bedeutet ‚Anfang‘. Das zugehörige Verb árchein bedeutet nun ‚den Anfang machen‘. Und Rancière verweist zurecht darauf, dass, wenn nun einer (wie in der Monarchie) oder der Vater (wie im Patriarchat) den Anfang macht, dann kann der Rest notwendigerweise nur folgen. Monokausale Ursprungserzählungen gehören leider zum festen und vermeintlich unverrückbaren[18] kulturellen Repertoire des Abendlandes, weshalb der Staatsrechtler Carl Schmitt schon vor genau 100 Jahren darauf hinweisen konnte, dass unsere politischen Begriffe wie z.B. der des Souveräns, nur abgeleitete theologische Begriffe seien.[19] Schmitt versäumt es seinerzeit, diesen Sachverhalt psychologisch, ideologisch und sinnanalytisch zu durchdenken. Das Problem ist aber, dass auf dem Wege der „Politischen Theologie“ (so betitelt Schmitt seine Studie) die monarchische und patriarchale Ursprungsideologie unbewusst und durch die Hintertür zurückwandert in die freiheitliche und demokratische politische Ordnung, die sich aber eigentlich auf eine ihrem Wesen nach an-archische Volkssouveränität beruft, die sich zur Selbstregulierung, also in einem autonomen Akt, auf die gerechte Balancierung allgemeiner und individueller Freiheitsrechte und -sicherung verpflichtet.[20] Wir können jenes Problem und seine Struktur aber heutzutage genau identifizieren und ihm dadurch gezielt entgegenwirken: Die philosophische Theologie bietet hier präzise Analysekriterien zur strukturalen Identifikation patriarchallogischer Denkweisen sowie konkrete Bewältigungsstrategien in ethischer Perspektive, darunter auch Versöhnungsstrategien, deren theologische Reflexion[21] geradezu unabdingbar sind.

III.

Der Zusammenschluss der politischen Idee einer Feministischen Außenpolitik mit dem Diskurs der Geisteswissenschaften kann sich daher als fruchtbares und konstruktives Handlungsprogramm erweisen, mit dessen Hilfe der zweiwertigen Sprache der Gewalt, des Krieges und der toxischen Männlichkeit ein positives, inhaltsstarkes und damit visionäres und zugleich handlungsfähiges Projekt entgegengestellt wird, das die Menschlichkeit in den Vordergrund rückt und eine dritte Sphäre jenseits der abstrakten Logik von Krieg und Frieden öffnet.

In Bezug auf die Abwehrbereitschaft bedeutet dies also ein mehrwertiges Handlungsschema, das ein Drittes zwischen Krieg und Frieden kennt: Es geht zugleich um die entschiedene, langfristige, nachhaltige und vor allem beharrliche Abwehr derjenigen sprachlichen, symbolischen und institutionalisierten Strukturen, die die Normalisierung des Krieges und der unreflektierten analogen Gegenmaßnahmen im patriarchalen Register befördern; aber es geht auch um die konkrete (An-)Erkennung der Realität des Krieges und der Machtpolitik sowie um die offene Benennung der allzurealen Unterdrückung und Marginalisierung von wehrlosen Menschen auf der ganzen Welt, womit die Forderung nach aktiver Solidarität einhergeht, die situativ und temporal begrenzt sogar so etwas wie Waffenlieferungen involvieren und rechtfertigen kann.[22]

In pazifistischer Perspektive mag das paradox erscheinen, aber wer hat gesagt, dass die Welt widerspruchslos ist? Ein Konzept wie die feministische Außenpolitik bietet somit wenigstens den konkreten Rahmen für ein ganz anderes Denken politischer Realität. Insofern möchte ich dafür plädieren, dieses politische Konzept, das an Prominenz gewinnt und, wie gesagt, nun auch zum konkreten außenpolitischen Programm der bundesdeutschen (Außen-)Politik gehört, durch geisteswissenschaftliche Reflexionen vor allem (rechts-)philosophischer und (politisch-)theologischer Provenienz zu stärken. Denn es sind immer die wirklich neuen Ideen und Denkweisen, die die Welt in der Vergangenheit nachhaltig verändert haben – und das sehr wohl auch zum Besseren. Für Freiheit aber muss und musste schon immer gekämpft werden.


[1] Ein Beispiel hierfür bildet die Geschichte der feministischen Emanzipationsbewegungen: Ausgehend von Frauen des Bildungsbürgertums des späten 19. Jahrhunderts musste in der Folge der Blick dafür geschärft werden, dass zwar alle Frauen im Patriarchat benachteiligt sind, aber von diesen Gleichen einige ‚gleicher‘ waren als andere. Die feministischen Konzeptionen und Bewegungen des globalen Nordens sahen sich ferner spätestens ab der Mitte der 1990er Jahre dem Vorwurf ausgesetzt, bei aller vermeinter Allgemeinheit keinen validen Blick für schwarze Frauen und generell People of Color des globalen Südens zu haben. So zeigt es sich, dass auch die Verallgemeinerung des marginalisierten Status im zweiwertigen Register erfolgte. Moderne feministische Konzeptionen begegnen diesem Problem etwa durch die Betonung der Intersektionalität und durch die Selbstverpflichtung zu multilateralen Zugänge zu sozialpolitischen Fragestellungen und Problemfällen.

[2] Vgl. Jes 11,6-8. Was das Bild zudem suspekt macht: Man fragt sich wirklich, wer sich in diesem Bild selbst mit dem Wolf identifizieren würde…

[3] Den Zusammenhang von freiheitlicher Selbstbestimmung und einem positiven demokratischen Verfassungsrecht, den Zusammenhang von Ethik und Politik also, habe ich in meinem Buch Kritik der ethischen Institution. Kant, Hegel und der Tod Gottes, Bielefeld 2022 ausführlich dargestellt.

[4] Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=MCToMDEaefo (Zugriff: 16. Juni 2022)

[5] Zur Erklärung des ungewöhnlichen Begriffs: Sublimierung ist ein Terminus der Psychoanalyse. Mit ihm wird angezeigt, wo und auf welche Weise ein Subjekt seine Triebe unbewusst in gesellschaftlich akzeptierter Weise auslebt. Das berühmteste Beispiel ist wohl der auch jenseits des psychoanalytischen Diskurses bekannte Begriff des Analcharakters: Wie spielt man als erwachsene Person am besten im Dreck, ohne dass man sein Gesicht verliert? Antwort: Indem man (unbewusst) überall Dreck sieht und das Gefühl der Zufriedenheit erzeugt, indem man z.B. immer darauf erpicht ist, Symmetrien oder wohlkalkulierte Ordnungen herzustellen, die den Status der tatsächlichen Sauberkeit des eigenen Körpers, Wohnraums oder Arbeitsplatzes schon längst transzendieren. Das Problem ist, dass die Sublimierung in einem Spannungsverhältnis zum Triebleben des Subjekts steht. Da nun aber die Sublimierung die Einzige Möglichkeit bietet im gesellschaftlichen und kulturellen Kontext den individuellen Trieb auszuleben, spricht Freud von einem „Unbehagen in der Kultur“. Desublimierung bedeutet nun, das eigene sublimierte Handlungsschema in den Wind zu schlagen und dem Triebleben freien Lauf zu lassen – zumindest in bestimmten Bereichen. Das kann die Deutschlandflagge am Auto bei der Fußball-WM sein, es kann aber auch offene oder ungestaute Aggression bedeuten, die sich etwa in der unverhohlen Einforderung der „Incels“ (involuntary celibates) widerspiegelt, wenn diese gegenüber Frauen auf ihrem ‚Recht auf Sex‘ beharren. In unserem Kontext ist es die Lust an der Gewalt, die wohl niemand verleugnen kann, die oder der einmal in einer Buchhandlung die Größe des Krimi-Regals mit allen anderen Regalen ins Verhältnis gesetzt hat – um von filmischen Auswüchsen gar nicht erst anzufangen.

[6] Vgl. https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/bulletin/rede-des-bundesministers-der-verteidigung-dr-peter-struck–784328 (Zugriff: 16. Juni 2022)

[7] Vgl. https://www.fdp.de/bundeswehr-soll-eine-der-schlagkraeftigsten-armeen-europas-werden (Zugriff: 16. Juni 2022)

[8] Vgl. https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/rede-von-bundeskanzler-scholz-bei-dem-ostdeutschen-wirtschaftsforum-am-12-juni-2022-2051512 (Zugriff: 16. Juni 2022)

[9] Vgl. https://www.derstandard.at/story/2000135362939/die-neue-kriegsrhetorik (Zugriff: 16. Juni 2022)

[10] Vgl. https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf (Zugriff: 16. Juni 2022) Der Begriff findet sich dort unter der Überschrift „Multilateralismus“ (S. 114) in seiner geläufigen englischsprachigen Form als Feminist Foreign Policy.

[11] Vgl. Kristina Lunz, Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch. Wie globale Krisen gelöst werden müssen, Berlin 2022. Vgl. auch https://www.kristinalunz.com/ (Zugriff: 16. Juni 2022)

[12] Vgl. https://www.sueddeutsche.de/politik/prantls-politik-putin-ist-ein-symbol-der-patriarchalen-gewalt-1.5543039 (Zugriff: 16. Juni 2022)

[13] Eine geistesgeschichtliche, rechtshistorische und philosophische Analyse der patriarchalen Logik lege ich in Kapitel I meines Buchs (siehe oben Anm. 3) vor.

[14] So stellen Oleg Riabov und Tatiana Riabova die „Remaskulinisierung Russland“ unter Putin bereits in 2014 fest. Vgl. Oleg Riabov und Tatiana Riabova, „Remasculinization of Russia? Gender, Nationalism, and the Legitimation of Power under Vladimir Putin“, in: Problems of Post-Communism, Vol. 61, 2/2014, 25-35. Putins toxic masculinity zeigt sich jüngst überdeutlich, wenn er sich – breitbeinig, zurückgelehnt in einen Sessel gefläzt – mit Peter dem Großen vergleicht, um ein Anrecht auf einen imperialistischen Eroberungskrieg ideologisch und historisch zu rechtfertigen. Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=AwDbrmmzFdw (Zugriff: 16. Juni 2022)

[15] Vgl. Jacques Rancière, Das Unvernehmen. Politik und Philosophie, übers. von Richard Steurer, Frankfurt/M. 2002.

[16] Zu diesem Problem vgl. die Darstellung und Analyse von Angela Nagle, Kill All Normies. Online Culture Wars from 4Chan and Tumblr to Trump and the Alt-Right, Winchester 2017.

[17] Vgl. Jacques Rancière, Zehn Thesen zur Politik, übers. von Marc Blankenburg, Zürich/Berlin 2008.

[18] Stichwort: „alternativlos“. Vgl. https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2011-01/unwort-2010-alternativlos?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F (Zugriff: 16. Juni 2022)

[19] Vgl. Carl Schmitt, Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, 10. Aufl., Berlin 2015.

[20] Vgl. Ingeborg Maus, Über Volkssouveränität. Elemente einer Demokratietheorie, Berlin 2011. Vgl. auch die Darstellung in Kapitel I und III meines Buchs (siehe oben Anm. 3).

[21] Vgl. etwa Ralf K. Wüstenberg, Die politische Dimension der Versöhnung Eine systematisch-theologische Studie zum Umgang mit Schuld nach den Systemumbrüchen in Südafrika und Deutschland, Gütersloh 2004.

[22] So plädiert etwa Sonja Schiffers von der Heinrich-Böll-Stiftung, aber auch die mehr vom Pazifismus herkommende Kristina Lunz bei gleichzeitiger Aussprache für die Zukunftsfähigkeit der Feministischen Außenpolitik dennoch gegenwärtig für die Möglichkeit der Waffenlieferungen von deutscher Seite. Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=8yT4tgzt7r4&t=4s (Zugriff: 16. Juni 2022)